Brasil de moto

Drei Monate reisten Sonja und ich mit dem Motorrad durch Brasilien.

Claudio & SonjaBrasil de moto (2009 / 2010)

„Passport!“ nuschelt der unrasierte Zollbeamte. Endlich werden wir mit unseren Dokumenten in das kleine, fensterlose Büro gelassen. Statt mit Samba und Caipirinha beginnt unsere Reise mit der Bürokratie am Hafen von Buenos Aires. Wir haben unser Motorrad mit einem Überseecontainer in die Argentinische Hauptstadt transportiert, nun steht es im Zolllager. Vier Schreibtische stehen verteilt im Raum, überall stapelt sich Papier. Der gelangweilte Beamte spricht miserables Englisch, ich spreche noch schlechteres Spanisch, aber irgendwie bekommt er die Papiere, die er verlangt und wir die Stempel, die wir brauchen. Nach einer Woche in der argentinischen Hauptstadt haben Sonja und ich alle notwendigen Behördengänge hinter uns gebracht. Erleichtert fahren wir unsere Aprilia aus dem Hafen. Hier treffen wir einige Biker, die ebenfalls von Argentinien aus Südamerika erkunden oder deren Reise hier endet. Abenteurer, die wie wir für einige Monate auf den europäischen Komfort verzichten und sich dem Erlebnis einer Motorradreise aussetzen. Jedoch keiner von ihnen fährt nach Brasilien. Ist eine Tour durch das größte Land des Kontinents wirklich so abwegig? Wir wollen von Dezember bis Ende Februar Brasilien von der südlichen Spitze bis in den mittleren Nordosten durchqueren.

 Eine Fähre bringt uns über den Rio de la Plata nach Uruguay. Zum ersten mal fahren wir durch die endlos weite Pampa. Langsam finden wir unseren Reiserhythmus. Aufstehen, Sachen packen, Essen, fahren, fahren, fahren, Übernachtungsplatz suchen, Essen, Schlafen. Anfangs ärgern wir uns noch, dass wir nie vor der Mittagshitze losfahren. Später nehmen wir das mit südamerikanischer Gelassenheit hin. Nach drei Tagen erreichen wir die Grenzstadt Rivera. Hier beginnt Brasilien. Wir müssen erst eine Weile suchen, bis wir die zwei Polizeistationen finden, an denen wir die Aus- und Einreisestempel bekommen.

Der Himmel ist wolkenlos, das Land ist flach und bis zum Horizont sehen wir nur trockenes, braungrünes Weideland. Bei 35 Grad tut der Fahrtwind gut, wir rollen in den Süden Brasiliens ein. Sonja ist neugierig und lässt mich alle paar Kilometer zum Fotografieren stoppen. Ich bin begeistert, endlich geht das Abenteuer los. Vor uns liegt das größte Land Südamerikas. Auf einer Fläche, die vierundzwanzig mal so groß wie Deutschland ist, leben 190 Millionen Einwohner, die meisten davon an der Küste. Und so fahren wir Anfangs erst einmal an der Küste entlang.

Eher zufällig bekommen wir auch Kontakt zu brasilianischen Motorradfahrern. Viele Biker im Internet über die Seite „BrazilRiders.com.br“ vernetzt, um sich mit Tipps und Informationen auf Reisen zu unterstützen. Ich schreibe einige Emails und wir werden prompt in die Stadt Santa Maria eingeladen.

Dort bekommen wir die volle Breitseite der südamerikanischen Offenheit und Gastfreundschaft zu spüren. „Herzlich Willkommen in Brasilien. Ihr könnt einfach bei uns übernachten.“ Felipe und seine Frau Leticia sind Anfang Dreißig und ebenfalls begeisterte Motorradfahrer. Sie gehören zur aufstrebenden Mittelschicht, für die das Motorradfahren eine Leidenschaft ist.  Es macht ihnen sichtlich Spaß, sich um uns zu kümmern, sie gehen mit uns Essen und zeigen uns die Stadt. Bevor wir am nächsten Morgen weiterreisen, gibt Felipe uns die Kontaktdaten von anderen Bikern auf unserer Route.

Zwischen Dörfern und kleinen Städten liegen kilometerweit nur grüne Hügel und rote Erde. Südbrasilien ist das Land der Gauchos, die immer ihren hochkonzentrierten Matetee in Kalebassen dabei haben. Auf Pferden, im Auto und sogar auf dem Sozius von Mopeds schlürfen sie das hochkonzentrierte dunkelgrüne Getränk mit Metallstrohhalmen.

Durch wunderschöne Naturlandschaften und dramatische Kurven fahren wir auf der BR 116, der Hauptverbindungsstrasse im Bundesstaat Rio Grande do Sul.

Am Horizont sehen wir langgezogene Gebirgsketten, an denen die Strasse vorbei an steilen Schluchten führt. Auf dem Land sind nur wenige Fahrzeuge unterwegs, doch vor größeren Metropolen gibt es regelmäßig Staus. Bei der Einfahrt in die Stadt Lages stehen die LKW kilometerweit. Staub und Dieselruß aus uralten Motoren liegt in der Luft. Sonja flucht und ich muss immer wieder scharf bremsen. Mittlerweile habe ich mich an die brasilianische Fahrweise gewöhnt.  Manchen bunt bemalten Laster überholen wir auch mal rechts um überhaupt vorwärts zu kommen. Hier soll es auch einen Campingplatz geben, wir wissen nur nicht wo. Ich frage einen der Motorradtaxifahrer, wie es sie in fast jeder brasilianischen Stadt gibt. An zentralen Straßenecken sitzen sie auf ihren kleinen klapprigen Mopeds, immer einen zweiten Helm unterm Arm. „Ich weiß wo der Campingplatz liegt. Für sechs Reais zeige ich euch den Weg.“ ruft einer von ihnen und braust mit seiner betagten 150er Maschine los. Ich habe Mühe, ihm mit unserer schwer beladenen Aprilia durch die vielen engen Strassen und dann über einen steilen Schotterweg zu folgen. Nach zwanzig Minuten kommen wir weit außerhalb der Stadt an einem wunderschönen Campingplatz am Waldrand an. In einer Halle neben dem Platz feiern die Angestellten einer Sanitärfirma ihr Betriebsfest. Erst wollen wir unsere Ruhe und bauen das Zelt außer Reichweite auf. Aber dann werden wir angesprochen und zur Party eingeladen. Zwischen Grillfleisch und Bier erzählen wir von unserer Reise.

Die Fernstrasse B101 führt direkt durch den „Mato Atlântico“, einen 95.000 km2 großen Streifen atlantischen Regenwaldes, der sich an der Küste entlang zieht. Neben der zweispurigen Schnellstrasse wächst eine dichte Wand aus Bäumen, Büschen und exotischen Pflanzen. Wir ahnen, wie undurchdringlich dieser Wald jenseits der Straße ist.

Noch exotischer sind die Ortsnamen im Süden. „Teutonia“, „Westfalia“ und „Horst“ steht auf den Schildern, das müssen deutsche Immigranten gewesen sein. In der Stadt Blumenau lernen wir die 79jährige Lotti kennen. Ihre Vorfahren wanderten wie viele andere Deutsche nach Brasilien aus und bauten sich in Städten wie Pomerode eine deutsche Parallelgesellschaft auf. Lotti läuft mit uns durch das weihnachtlich geschmückte Städtchen und zeigt uns das Stadion, in dem jährlich das größte Oktoberfest in Südamerika gefeiert wird.

Völlig uneuropäisch sind dagegen die Temperaturen. Bei 40 Grad im Schatten schwitzen wir permanent, auch der Fahrtwind kühlt nicht mehr. Warum muss ich ausgerechnet in Brasilien mit einer schwarzen, wasserdichten Gore-Tex Jacke unterwegs sein?

Wo es keinen Platz zum Campen gibt, übernachten wir in billigen Hotels oder einfachen Herbergen, sogenannten Pousadas. Diese unterscheiden sich kaum von den Motels, die es an jeder größeren Fernstrasse gibt. Oft weist ein eindeutiger Name wie „Amor“ darauf hin, dass sich hier Paare ungestört zurückziehen können. Manchmal entdecken wir aber erst an der Preistafel, dass man hier Zimmer auch stundenweise mieten kann. Zum Geld haben die Brasilianer ein entspanntes Verhältnis, wie zum Leben allgemein. Auf dem Campingplatz der Insel Cananéia kosten zwei Nächte im Zelt 60,- Reais, wir haben aber nur 50,- Scheine. Der Platzwart kann nicht wechseln, also nimmt er nur einen Schein.

Hektischer, touristischer und unerträglich heiß wird es an der Küstenstraße von São Paulo. Zur Abkühlung fahren wir Richtung Nordwest ins Landesinnere. Bei Campos do Jordão erhebt sich ein Gebirgszug in einem 180 km langen Naturpark, der Mantiqueira. Wir schlagen unser Zelt im Wald auf zwischen Araukarien, den für diese Gegend typischen Tannen. Campos ist so etwas wie die brasilianische Schweiz, auf einer Höhe von 1550m über 0 fühlen wir uns bei 26° C angenehm erfrischt.

Je näher wir der Millionenstadt Rio de Janeiro kommen, je dunkler wird die Hautfarbe der Menschen und bunter ihre Häuser. An einer Polizeistation lernen wir Guilherme, einen Biker Anfang sechzig kennen. „Ich wohne ganz zentral in einem sicheren Viertel. Kommt doch auf einen Kaffee mit, dann sehen wir weiter.“ sagt er und fährt mit seinem chromblitzenden Chopper vor. Mit wehendem T-Shirt, Sonnebrille und einer Hand lässig am Lenker bahnt er uns einen Weg durch das Verkehrschaos. Wir folgen schwitzend seinen riskanten Überholmanövern und spontanen Spurwechseln. Guilherme wohnt mit seiner Familie in einem Viertel von Rio, nicht weit vom Zentrum entfernt. Seine Frau Gloria überredet uns, bei ihnen unser Lager aufzuschlagen. Wir nehmen das Angebot gerne an, denn die Familie ist uns sofort sympathisch. Daniel, der Sohn und seine Freundin Juliane nehmen uns noch am selben Abend mit an die Copacabana. Eine Woche bleiben wir in der schönsten Stadt der Welt. Gloria lädt uns immer wieder zum Essen ein, Guilherme lässt unser Motorrad in der Werkstatt seines Vertrauens durchchecken. Juliane und Daniel haben Spaß daran, mit uns die Stadt zu erkunden.

„Das ist die gefährlichste Strasse von Rio.“ erklärt uns Daniel und zeigt in die Richtung eines der vielen Favelaviertels am Rande der Hauptverkehrsstraße. Als ich ihm erzähle, dass wir uns genau dort am letzen Abend verfahren haben bemerkt er nur cool: „So eine Reise muss ja auch spannende Momente haben.“

Im Bundesstaat Minas Gerais wird es deutlich ländlicher. Wir sehen am Straßenrand kleine, unverputzte Lehmhütten, in denen die Menschen ohne Strom und fließend Wasser leben.

Gemütlich rollen wir über Kopfsteinpflaster durch Ouro Preto und Mariana, kleine barocke Goldgräberstädtchen aus der Kolonialzeit. Die Erde leuchtet knallrot vom Eisenerz, das bis heute in riesigen Bergbauanlagen abgebaut wird. Es ist staubig und schwerbeladene alte LKW tuckern über die Landstrassen. Am zweiten Tag zieht sich der Himmel zu und zum zweiten mal auf der Reise kommen wir in richtig strömenden Regen. Wir folgen dem Tipp eines Einheimischen und fahren in das Naturschutzgebiet Caraça. Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir eine riesige Kirche mit einem Priesterseminar mitten im Urwald. Der alt-ehrwürdige Gebäudekomplex wurde zu einem Gästehaus umfunktioniert. Wir mieten uns ein Zimmer und ein Pastor hilft uns, das Motorrad zu entladen. Eine skurrile Tradition ist, dass die Priester jede Nacht Wölfe füttern, die in den Wäldern Wald rings herum leben.

Zusammen mit anderen Gästen versammeln wir uns am Abend auf der Terrasse hinter der Kirche. Ein Angestellter stellt eine Schale mit rohem Fleisch auf und wir warten flüsternd in der Dunkelheit. Nach einiger Zeit schleichen sich tatsächlich nacheinander zwei Wölfe an. Scheu tapsen sie zum Fleisch und fressen etwas. Doch unser Flüstern und das Klicken der Kameras lässt sie schnell wieder verschwinden.  Uns bleibt ein sehr friedlicher Eindruck von den Wölfen und ein paar unterbelichtete Fotos.

In der Industriestadt Sete Lagoas treffen wir Vanessa. Die junge Deutsche arbeitet für ein Jahr in dem Sozialprojekt „Serpaf„, das sich um die Kinder und Familien in einem Armenviertel kümmert. Uns wird bewusst, dass in Brasilien trotz der wachsenden Wirtschaft immer noch viele Menschen unter sehr schlechten Bedingungen leben. Sie zeigt uns das Projekt. „Die Arbeitslosigkeit hier macht den Leuten zu schaffen. Es gibt Kinder, die schon viel Gewalt in ihren Familien erlebt haben.“ erzählt Vanessa. Sie betreut Vorschulkinder und organisiert kostenlose Spiel- und Bildungsangebote in einer Kindertagesstätte. „Es ist eine anstrengende, aber sinnvolle Arbeit und das macht mir Spaß.“

Das Unglück passiert zwei Tage später auf einer langgezogenen Schotterpiste. Wir sind wieder im Niemandsland unterwegs als wir plötzlich merken, dass etwas mit dem Hinterrad nicht stimmt. Sonja zieht einen riesigen Nagel aus dem Reifen, wir haben einen Platten. Ausgerechnet hier, im unbewohnten Hügelland, 15 km von der nächsten Stadt entfernt sind wir gestrandet. Auf dieser unasphaltierten Nebenstrasse sind nur wenige Fahrzeuge unterwegs. Ein LKW hält und der Fahrer fragt, ob er helfen kann. Leider ist er unterwegs in die falsche Richtung. Handyempfang gibt es hier auch nicht. Doch er bleibt gelassen optimistisch „Macht Euch keine Sorgen, das kriegen wir schon hin.“ Er stoppt für uns eine Auto, das auf dem Weg zur Stadt ist und überredet den Fahrer, dort Hilfe zu holen. Beide fahren weiter und wir hoffen, dass auch wirklich Hilfe kommt. Es dämmert langsam und wir werden nervös. Nach quälend langem Warten kommt tatsächlich ein Pick-up. Silverio, der Fahrer will uns zur nächsten Werkstatt in der Stadt mitnehmen. Über eine kurze, morsche Planke schieben wir die 200 kg schwere Aprilia Pegaso auf die Ladefläche und es geht los. Wir finden eine Reifenwerkstatt, die noch geöffnet ist. In 20 Minuten haben die Mitarbeiter das Hinterrad ausgebaut, den Schlauch geflickt und wieder eingebaut. Zu einem Preis von umgerechnet 4,- Euro. Staunend und dankbar verabschieden wir uns von Silverio.

Die Landschaft wird immer trockener und karger, je weiter wir in den Bundesstaat Bahia eindringen. Die Wälder weichen Steppen. Große Kakteen und einzelne Bäume stehen am Rand von ungeteerten Pisten oder löchrigen Asphaltstrassen. Viele Männer arbeiten hier in der Viehwirtschaft und wir begegnen Reitern mit breitkrempigen Hüten auf Pferden mit bunten Satteln.

In den Gassen und Plätzen des Städtchens Cachoeira ist der geheimnisvolle Candomblé – Kult präsent. An einer Kreuzung entdecken wir auf dem Boden Weingläser und Hühnerknochen. Das ist kein Müll, sondern ein Hinweis auf eine nächtliche Zeremonie. Diese Voodoo – ähnliche Religion wurde einst von Sklaven aus Westafrika mitgebracht und über Generationen als Geheimwissen unter den afrobrasilianischen Einwohner weitergegeben. Wir dürfen als Gäste an der Zeremonie einer Candomblé – Schwesternschaft teilnehmen. Am Abend werden wir in einen Hinterhof geführt, wo eine Art Freiluft – Kapelle eingerichtet ist. Neben einer anderen Brasilianerin sind wir die einzigen weißen Gäste und wissen erst nicht, wie wir uns verhalten sollen.

In der Mitte des Raumes tanzen die Schwestern, in ausladenden Kleidern zum Rhythmus einer Trommelgruppe. Die Stimmung ist freundlich aber auch geheimnisvoll, einige singen monotone Gesänge, einige schauen zu, so wie wir. Die Frauen führen verschiedene Zeremonien durch. Sie gießen Wasser auf den Boden und werfen mit Popcorn, ohne dabei mit dem Gesang und den Tänzen aufzuhören. Nach und nach fallen einige in Trance, werfen sich auf den Boden, brüllen, oder tanzen zuckend weiter. Sie treten in Kontakt mit den Orichás, den Geistern erklärt uns ein junger Mann. Nach drei Stunden geht die Zeremonie in ein nächtliches Abendessen über.

Ein ganz anderes spirituelles Zentrum ist das Taizé – Kloster in Alagoinhas. Auf der Straße fragt uns ein anderer Motorradfahrer, ob wir Taizé suchen. Wie selbstverständlich fährt er vor und führt uns zur Klosteranlage in einer Seitenstrasse. Wir betreten ein Begegnungszentrum, das einige Brüder der europäischen Taizégemeinschaft am Stadtrand aufgebaut haben. Sie unterstützen eine Schule, zwei Lehrwerkstätten und ein Altersheim für die arme Bevölkerung im Stadtteil. Drei mal täglich treffen sich die Brüder in einer kleinen Kapelle und beten mit ruhigen, meditativen Gesängen. Ein ungewöhnlicher Kontrast zum lebhaften Brasilien drum herum. Wir bleiben über Nacht und dürfen die Aprilia im Hinterhof parken. Im Kloster lernen wir auch einen älteren Herrn kennen, der ebenfalls zu Gast ist. Als wir von unserer Reise erzählen gibt er uns die Adresse seines Sohnes. „Er hat hier in Bahia eine große Farm und sucht gerade nach einem geländegängigen Motorrad. Vielleicht wäre eure Maschine etwas für ihn.“

Der nördlichste Punkt unserer Reise ist São Cristóvão, eine kleine 400 Jahre alte Kolonialstadt oberhalb von Bahia. Hier erleben wir den Karneval in einer sehr ursprünglichen, traditionellen Form. Die ganze Stadt ist auf den Beinen, die Strassen sind bunt geschmückt und alle tanzen wild und ausgelassen. Kleine Blaskapellen laufen mit und spielen Frevo, eine Art Dixieland – Jazz auf Speed gemischt mit Samba.

Nach zwei Tagen Party brauchen wir wieder etwas Entspannung und fahren ein Stück weiter Richtung Süden an die Küste. Henni, eine quirlige Frau Mitte 40 leitet den Hippie – Campingplatz am Strand von Diogo. „Während der Karnevalszeit fliehen viele aus der Großstadt und suchen die Ruhe am Strand. Hier könnt ihr bis Aschermittwoch bleiben.“ Und tatsächlich, wir müssen zum ersten Mal suchen, bis wir ein freies Eckchen für unser Zelt finden. Dann aber genießen wir ein paar Tage mit Nichts tun im Schatten.

Salvador de Bahia, das Ziel unserer Reise erreichen wir im brasilianischen Hochsommer Ende Februar. Ein letztes Mal stürzen wir uns in das Verkehrschaos einer Millionenmetropole. Verfallene Prachtbauten aus den 20er Jahren stehen hier zwischen Betonklötzen und Wolkenkratzern. Viele barocke Kirchen sind Zeugen der Kolonialzeit und werden noch immer von mehr Gläubigen als Touristen besucht. Zum Schluss gönnen wir uns den Luxus und übernachten in einem Hotel.

Wenige Tage vor der Abreise erfahren wir, dass wir das Motorrad definitiv nicht wieder über den Seeweg zurück nach Deutschland transportieren lassen können. Weil das Fahrzeug bei der Einreise in das Land nicht offiziell verzollt wurde, wird der es der Zoll in Salvador auch nicht mehr herauslassen. Uns bleibt nur eine Möglichkeit, wir müssen unsere Aprilia in Brasilien zurücklassen. Doch es ergibt sich noch eine brasilianische Lösung. Zum Glück haben wir noch die Kontaktadresse von dem Herrn im Kloster. Sein Sohn hat tatsächlich Interesse und kauft uns das Motorrad am letzten Tag vor unserem Rückflug ab. Wir kehren wieder zurück nach Hause, aber unsere Aprilia bleibt in dem Land der Sonne und der ewig optimistischen Menschen.

Und hier noch ein paar Hintergrundinformationen:

Brasilien – Wissenswertes

Allgemein:

In Brasilien ist die Landessprache Portugiesisch. Englisch wird kaum bis gar nicht gesprochen. Doch da Brasilianer sehr offen und gastfreundliche Menschen sind, kommt man im Zweifel auch ohne Worte sehr weit. Die wichtigste Geste ist der erhobene Daumen.

Brasilien ist für Reisende ungefährlicher als sein Ruf. In den Megastädten wie Rio de Janeiro, São  Paulo oder Salvador de Bahia ist natürlich ein gewisses Maß an Vorsicht nötig. Wir haben uns nicht auffällig benommen oder gekleidet, trotzdem fällt man als Gringo gerade im afrobrasilianisch geprägten Norden auf. Alle wichtigen Dokumente hatten wir als laminierten Kopien mit ein wenig Bargeld in der Hosentasche. Die Wertsachen wie Pässe und Kreditkarten waren unter der Unterwäsche versteckt. Und es wurde uns nie etwas geklaut.

Auch in kleinen Städten gibt es Bankautomaten, an denen wir mit der Kreditkarte Geld abheben konnten, die EC-Karte funktioniert nur selten.

In dem riesigen Land gibt es unterschiedliche Klimazonen und obwohl wir in der Regenzeit unterwegs waren und es in dieser Zeit heftige Überschwemmungen in Sao Paulo gab, hatten wir Glück und sind nur drei mal im Regen gefahren.

Anreise:

Eine Möglichkeit, das Motorrad über den Luft- oder Seeweg nach Brasilien zu bekommen war 2009 / 2010 trotz intensiver Recherche und Kontakte nicht möglich. Die Ein- und Ausfuhrgenehmigungen sind einfach zu strikt. Daher haben wir das Motorrad nach Argentinien verschifft und sind über den Landweg nach Brasilien eingefahren. Das Motorrad über den Seeweg wieder heraus zu transportieren war nach intensiven Recherchen vor und während der Reise nicht möglich.

 Unterkunft und Verpflegung:

Ja, es gibt Campingplätze in Brasilien, obwohl das Campen nicht typisch brasilianisch ist. Ein gut sortiertes Verzeichnis steht im Netz unter: www.acamp.com.br

Ansonsten gibt es außerhalb der touristischen Küstenmetropolen viele günstige Hotels, Pensionen und sogenannte „Pousadas“. Einen Campingkocher hatten wir nicht dabei.  Das war auch nicht notwendig bei der Vielzahl von günstigen, aber sehr schmackhaften „Por Kilo Restaurants“ (Buffet mit Preis je nach Gewicht des Tellers) auch auf dem Land.

Literatur und Karten:

Ich reise lieber ohne Reiseführer, doch auf dem Flughafen hat Sonja noch den „Rough Guide to Brazil“ gekauft. Es hat sich gelohnt, ein hilfreiches Buch, gebe ich zu. Zur Planung der Route reicht eine Karte im Maßstab 1:4 000 000 völlig aus. In Brasilien empfehle ich wärmstens die jeweils aktuelle Ausgabe der Straßenkarte „Guia Quatro Rodas“ mit detaillierten Infos z.B. über den Straßenzustand, die es auch im tankrucksackkompatiblem Ringbuch – Format gibt. Außerdem nutzten wir die GPS – Brasilienkarte von Garmin. Besonders im Großstadtverkehr war sie sehr hilfreich. Außerhalb der Städte hatte sie manchmal Abweichungen von über 10 km.

Motorrad fahren

In ganz Südamerika gibt es viele Motorräder im Straßenverkehr, meistens kleine 125 ccm – Maschinen. In den Millionenstädten ist der Verkehr schon sehr stressig, außerhalb aber ganz angenehm. Obwohl die LKW oft überladen und viel zu schnell fahren, sind die Fahrer freundlich und unterstützen einen beim Überholen, in dem sie Zeichen geben oder ausweichen. Alle großen Städte sind mit Asphaltstraßen verbunden, im Süden fast auf europäischem Niveau, Richtung Norden wird es löcheriger. Es lohnt sich aber, auch auf den nicht asphaltierten Straßen Wege abzukürzen oder neue Routen zu erproben. Der Zustand reicht von gutem Schotter über elendes Wellblech bis unpassierbarem Schlamm.

Viele Motorradfahrer organisieren sich in Gruppen. Ein Netzwerk das Biker in ganz Brasilien speziell auf Reisen unterstützt sind die „Brazil Riders“. www.redebrazilriders.com.br