Reisen und Rassismus

Wer viel reist, wird automatisch ein weltoffener Mensch …dachte ich. Aber das ist nicht so. In den letzten Monaten und Jahren habe ich mehrmals erlebt, dass Freunde aus der Motorradreise – Szene plötzlich öffentlich eine Meinung vertreten, die ich ihnen nicht zugetraut hätte. Geschockt las ich in den sozialen Medien menschenfeindliche Texte und abstruse Verschwörungstheorien, eine Mischung aus Meinung, schrägen Interpretationen und Fake News. Mehrmals diskutierte ich mit anderen heftig über „kriminelle Ausländer“, die „Islamisierung des Abendlandes“ und die „Umvolkung“. Das sind Themen, die auf den ersten Blick nicht zu Menschen passen, die mutig auf Motorrädern in die weite Welt reisen, um fremde Kulturen kennen zu lernen.

Reisen verändern oft die Weltsicht, aber die Frage ist, mit welcher Sicht ich in die Welt hinausfahre. Es ist auch möglich, dass ich alle meine Vorurteile bestätigen lasse und nicht jeder nutzt eine Reise, um auch Menschen kennen zu lernen. Wenn ich will, kann ich unterwegs nur „faule und dumme Einheimische“ sehen, die „nichts auf die Reihe kriegen“ und daran „selbst schuld“ sind. Ich habe schon Menschen getroffen, die Jahrzehnte in sogenannten Entwicklungsländern leben und beinharte Rassisten sind. Interkulturelle Erfahrungen machen aus mir nicht automatisch einen weltoffene Menschen. Es kommt auch darauf an, wie ich mit diesen Erfahrungen umgehe.

Wer zum ersten Mal in ein Land reist, das kulturell deutlich anders ist als die Heimat, erlebt früher oder später einen Kulturschock und entwickelt unterschiedliche Strategien, das zu verarbeiten. Oft steht am Anfang die Begeisterung für das Exotische. „Alles so schön bunt hier und die Menschen sind immer so fröhlich!“ Doch schnell kann die Begeisterung in Gereitztheit umschlagen und alles geht einem auf die Nerven. „Die ganze Korruption und die Unzuverlässigkeit kotzt mich an!“. Man kann es sich in dieser abgrenzenden Haltung gemütlich machen. Viel anstrengender ist es, das auszuhalten und dann tiefer in eine andere Welt einzutauchen.
Ich habe mit vielen Menschen Interviews geführt, die auf ihren Reisen Wochen und Monate an einem Ort mit den Menschen zusammen verbrachten. Dann kann die Auseinandersetzung mit der Kultur, der Gesellschaft und den globalen Zusammenhängen beginnen. Daher ist es gut, mit einer offenen Haltung in die Welt hinauszufahren um nicht nur die eigenen Vorurteile bestätigen zu lassen.

Wir können mit unseren Reiseerfahrungen auch etwas zur interkulturellen Diskussion in Deutschland beitragen. Eine Kultur oder eine Gesellschaft aus unterschiedlichen Perspektiven wahrzunehmen ist eine Erfahrung, die man in vielen Begegnungen und nicht in der Theorie lernen kann. Um so schlimmer finde ich es, wenn ich pauschale Urteile über „die Fremden“, „die Migranten“ oder „den Islam“ von Menschen höre, die in der Motorradreise-Szene aktiv sind. Vielleicht müssen wir mehr darüber diskutieren, mit welcher Haltung wir reisen. Vielleicht müssen wir mehr darüber sprechen, welche Erfahrungen wir mit nach hause bringen. Vielleicht müssen wir mehr über Politik streiten.

Claudio

5 Antworten auf „Reisen und Rassismus“

  1. DAnke !!!!!!!

    Du sprichst mir so aus der Seele.

    Auch ich habe wirklich rassistische Aussagen ( Das wird man ja nich sagen dürfen ) von Leuten gelesen, die Artikel in (Reise)Zeitschriften schreiben, Ihr Geld damit verdienen und offen Rassismus verbreiten oder auch reisende, die gehypt werden und auch rassistische Meldungen über Flüchtlinge rauslassen und die sich dann beschweren weil viele Andere sie als Rassisten und Nazis bezeichnen und sie finden das nicht zu sein. Weil “ Das wird man ja nich sagen dürfen „…..

    Bin selbst schon mit Leuten gereist, die andere Länder komplett anders sehen und eben nicht offen da hingefahren sind. Wenn man sich nachher unsere Resümees angesehen hat würde man nie vermuten, das es die selben Länder waren.

    Ich für mich sehe mir diese Länder immer sehr offen an, mit den guten, und natürlich auch schlechten Seiten. Ich hab auch schon schlechte Erfahrungen gemacht, aber im Großen und Ganzen sind Eindrücke über Land und Menschen immer positiv.

    Nur wir hier in (Mittel)Europa jammern am meisten und neiden den Anderen Alles, wo es uns hier am besten geht. Was man erst mal merkt wenn man unterwegs ist in anderen ländern.

    Und dort wo die Leute nichts haben wird das Letzte gegeben und geholfen.

    Wir sind diejenigen, die vom Wohlstand schon verdorben sind.

  2. Vielen Dank für diesen Blog Beitrag Claudio.

    Du sprichst da ein Thema an das uns ebenfalls schon aufgefallen ist und für mich persönlich etwas erschreckend ist.

    Ich sehe es genau wie du, dass wir darüber diskutieren müssen mit welcher Haltung wir reisen.

    Aber ich denke auch darüber mit welchen Erwartungen an fremde Kulturen wir überhaupt losfahren.

    Wenn jemand mit Vorurteilen losfährt ist es immer noch die Frage ob er sich darauf einlassen möchte die Vorurteile abzubauen.. oder ob er mit dem, wenn auch vielleicht nicht beabsichtigtem Ziel losfährt die Vorurteile bestätigt zu bekommen.

    Ich weiß nicht ob wir über Politik streiten sollten, aber ich weiß dass wir mit anderen Reisenden über dieses Thema sprechen sollten. Vielleicht mal eine Idee für eine Gesprächsrunde während eines Reisetreffens.

    viele Grüße

    Oliver

  3. Dem kann ich nur zustimmen. Wir sind gerase auf einer Motorradtour Italien, Griechenland, Albanien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Croatien, … ( ungewiss) Die Menschen sind so unterschiedlich, Mehr oder weniger arm , aber alle sehr nett und hilfsbereit. Was mich etwas erschüttert hat war immernoch der Hass zwischen Bosniern und Croaten … Das hat mich echt nachdenklich gestimmt.
    Das hat jetzt nicht viel mit Rassismus zu tun, schlägt aber auch in die Richting Vorurteile. Wir haben an einem Tag öfter die Grenze zwischen beiden Ländern überquert und konnten nur feststellen das auf beiden Seiten nur gelebt werden will.
    Zeit für Annäherung !
    Gruß didzo

  4. danke für deinen artikel.
    ich bin in meinem leben sehr viel gereist und habe auch die stadien von Begeisterung übers exotische bis zum Ärger über Korruption etc erlebt.
    es ist nicht einfach auch sich selbst kritisch während des reisens zu sehen. dafür ist Reisen aber auch da ,sonst wird’s zum reinen konsumieren : weiter ,höher,schneller, schwieriger ,mehr ,mehr
    Welt Offenheit bedeutet eben., neues erleben zu wollen, neue Erfahrungen zu machen und zu schauen was das mit mir macht. ich sitz oft aufm mopped und bin einfach nur echt dankbar dass ich soviel erleben kann. Übel ist es, wenn Reisende nicht denken wollen sonder lieber urteilen. Urteilen ist eben einfacher, und stärkt das Ego .

  5. Lieber Claudio,
    Dein Aufruf zur Diskussion um dieses Thema innerhalb der Individual-Reiseszene erfolgt zur rechten Zeit, wie ich finde.

    Allerdings frage ich mich, wie man jemanden zur Unvoreingenommenheit gegenüber anderen Kuluturen bewegen kann, der sich selbst durch das Reisen auf eigene Faust nicht bereits in diese Richtung entwickelt hat. In dieser Hinsicht ist und bleibt Deutschland ein Entwicklungsland, aber bedauerlicherweise besteht der Maßstab für diesen Begriff bislang vorrangig im Bewerten materieller Güter.

    Außerdem: Die Welt ist im Wandel. Zur Wahrheit gehört auch, dass Grundkenntnisse über Geopolitik erforderlich sind, um sich ein Bild über die Ursachen der globalen Veränderungen zu machen. Insbesondere kann ich dazu die Vorträge von Herrn Dr. Daniele Ganser empfehlen (zum Einstieg vielleicht den aus Dez. 14 vor der Uni Tübingen > 1Mio Klicks auf Youtube).

    Wir alle 7,5 Mrd. gehören zur Menschheitsfamilie! Das sollten wir stets im Blick behalten.

    Liebe Grüße
    Bernd

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